Sonntag, 16. Februar 2014

Chinas 1000 neue Museen

Zuerst konnte ich es nicht glauben, aber dann las ich mehrere Berichte und wurde davon überzeugt, daß es tatsächlich eine Art Zehn-Jahresplan gibt, der die Errichtung von tausend Museen vorsieht. Statistisch also alle paar Tage eines. Möglich, daß da nicht nur Neubauten und -gründungen gemeint sind, sondern auch Renovierungen, Erneuerungen, Neukonzeptionen. Und nicht alle dieser Museen dürften staatliche sein, sondern regionale und lokale. Dennoch - warum dieser "angeordnete Museumsboom"?
Yinchuan Yellow River Arts Museum
Etwa dreieinhalbtausend Museen soll es derzeit in China geben, darunter spektakuläre Neubauten chinesischer, aber auch namhaftester europäischer Architekten. 1978 sollen es noch 350 gewesen sein. Ein Zehntel der heutigen Zahl. Allein 2012 sind über 400 (!) Museen entstanden, eine unglaubliche Zahl, die aber von der chinesischen Museumsorganisation selbst kommt.
Das zentrale Pekinger Nationalmuseum wurde unter Beteiligung deutscher Architekten umgeplant und erweitert. Der Ehrgeiz ist sichtbar, hier in der allerersten Liga der Weltmuseen vertreten zu sein, wenngleich vorerst eher den Dimensionen nach. Die Ausstellungsfläche gilt als größte der Welt.
Das neue und nationale Pekinger Kunstmuseum, als dessen Architekt Jean Nouvel 2012 als Architekt ermittelt wurde, wird sechs Mal so groß sein wie das existierende.
Nationales Kunstmuseum Peking, NAMOC
Woher sollen eigentlich die Sammlungen kommen, für tausend neue Museen? Und um welche Art von Sammlungen soll es sich eigentlich handeln? Und woher werden die Besucher kommen für all diese Museen? In Shanghai sollen sich angeblich nur 11% für Museen interessieren, deutlich weniger, als in Europa. China hat eine relativ junge, am Beginn rein koloniale Tradition der Museumskultur und erst nach 1945 entstanden vermehrt Museen (1949, im Jahr des Machtantritts der Kommunistischen Partei, hatte China 25 Museen und inj den zehn Jahren der Kulturrevolution wurden zahlreiche Museen zerstört), z.B. historische, die den kommunistischen Fortschritt oder militärische Erfolge und Leistungen dokumentierten oder Personalmuseen, etwa mehrere Mao Tse Tung gewidmete, die die großen Persönlichkeiten würdigten.
Diese Museen gibt es immer noch, aber seit einigen Jahren wandelt sich auch auf diesem kulturellen Gebietet vieles und tiefgreifend.
Shanghai Powerstation of Art
In den Finanz- und Wirtschaftsmetropolen gibt es ein Bedürfnis nach Anschluß an den Westen, 2013 wurde in Shanghai in der Power Station of Art (wo angesichts des Gebäudes der Vergleich mit der Tate Modern sich aufdrängt) eine große Warhol-Ausstellung gezeigt, eine umfassende Werkschau, nur ohne Mao, wie ich der Wirtschaftswoche vom 16.6.2013 entnehme, das einer meiner Quellen für diesen Post ist.
Der Museumsboom ist ein "verordneter" und er scheint gezielt eine Art von Überkapazität zu schaffen, vor allem im Bereich der Kunstmuseen. Langfristig würden die Museen für eine rasch wachsende, urbane und wohlhabendere Mittelschicht interessant werden und - wofür es in China nur eine sehr dünne Tradition gibt -, als Ort der Bildung anerkannt und genutzt werden.
Parallel zur staatlichen Museumspolitik boomen nun auch private Museen, auch deren Zahl ist sprunghaft angestiegen, und manche von ihnen sind technisch und didaktisch auf dem avanciertesten Stand. Bei den staatlichen Museen hinkt aber die Vermittlung, Gestaltung, Konzeption usw. hinter dem atemlosen Bau- und Gründungsboom hinterher. Auch der Bedarf an qualifiziertzem Personal kann nicht so schnell gedeckt werden.
Red Brick Contemporary Art Museum, Peking
Ist das nicht eine ziemlich paradoxe Entwicklung: eine staatliche Politik, die sehr darauf bedacht ist, jede Dissidenz, gerade in der Kultur und Kunst, zu regulieren und auch notfalls zu unterdrücken, bedient sich eines im Zeitalter der europäischen Aufklärung entstandenen Modells, das ohne ein Minimum an öffentlicher Debatte, Unabhängigkeit, Kritik kaum lebensfähig erscheint? Andrerseits kann auch das Museum instrumentalisiert werden, als ideologischer, staatlich gelenkte Apparatur, in der gesellschaftspolitische Vorstellungen im Interesse der politischen Machthaber modelliert und propagiert werden können.
Datong Art Museum
Und überhaupt: Europäische Aufklärung? Die große, von deutschen Museen konzipierte, ausgerechnet zur Wiedereröffnung im Nationalmuseum in Peking gezeigte Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung", hatte ihre Grenzen keineswegs nur an der Zurückhaltung der Politiker und Behörden. Aufklärung läßt sich nur schwer mit der langen kulturellen und philosophischen Tradition Chinas vermitteln. Das wurde an der Schau und an der um sie herum in den deutschen Medien damals heftig geführte, von der nahezu zeitgleichen Verhaftung Ai Weiweis ausgelösten Debatte deutlich. (Hier zum Post Postideologische Museumspolitik. Die Ausstellung der Bundesrepublik Deutschland "Kunst der Aufklärung" im Chinesischen Nationalmuseum mit ausführlicher Dokumentation der Debatte und zahlreichen Links zu den diversen Berichten, Kritiken und Essays).
Doch warum sollten in China ausschließlich idealistische Ziele dem Museumsboom zugrundeliegen. Auch dort gibt es inzwischen eine "Kulturindustrie" deren symbolische Bedeutung vielleicht sogar weniger wiegt als die materielle: "n 2009 a State Council meeting upgraded culture to the level of a strategic industry. The current five-year plan for 2011-15 spells out government policy in detail. Culture is the “spirit and soul of the nation”, it says, and a powerful force for the country’s development. Over time culture is to become a “pillar industry”, loosely defined as one that makes up at least 5% of the country’s gross domestic product." (The Economis, 21.12.2013).

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