Samstag, 22. Dezember 2012

Über den Zustand der Museen der Republik. Der Milchzahn der Kaiserin

"Das Kind hatte bereits bei der Geburt einen Milchzahn, einen so genannten "dens connatus", wie schon früher der französische Sonnenkönig Ludwig XIV.
Der Umstand, dass das Kind am Weihnachtsabend, einem Sonntag und schon mit einem Zahn geboren wurde, veranlasste die Mutter zu der Annahme, dass die Geburt dieser Tochter unter einem ganz besonderen Glücksstern stand. Damit wollte sie vielleicht auch ihr Gewissen beruhigen, denn sie fürchtete einen Fluch, den sie selbst an ihrem Vermählungstag ausgesprochen hatte. Sie war so ungücklich am Tag ihrer Hochzeit gewesen, dass sie beim Werfen des Brautstraußes gesagt haben soll: 'Dieser Ehe und allem, was daraus hervorgeht, soll der Segen Gottes fehlen bis ans Ende'."

Das Kind, um das es hier in den herzerwärmenden Worten der Webseite der "Kaiserappartements der Hofnurg" geht, war Elisabeth, "Sissi", später Gemahlin Kaiser Franz Josefs. Weil dieses Mysterienkind nicht nur mit einem Zahn auf die Welt kam, sondern an einem 24. Dezember, sieht sich das Museum veranlasst, Taufkleid (entzückend) und Zahn - diesen im Milchzahnbehälter aus vergoldetem Messing mit gekröntem Allianzwappen der Herzogin Ludovika in Bayern  - ab diesem Datum auszustellen. Befristet, bis März des kommenden Jahres, dann kommt er wieder is Depot, aus konservatorischen Gründen. Also nicht versäumen, denn wer weiß, wann der Milchzahn wieder zu sehen sein wird, der am Freitag von niemand geringerem als Sisis Ururenkelin Magdalena Habsburg in die Vitrine gelegt wurde, wie die Tageszeitung Die Presse zu berichten weiß.


Wem der Wert dieser k.k. Zimelien etwas schleierhaft ist, den belehrt in der genannten Tageszeitung die Kuratorin des Museums Olivia Lichtscheidl: Diese Dinge haben ja auch einen unglaublichen ideellen Wert. 

Zum Stolz einer der berühmtesten Sammlungen der frühen Neuzeit, der von Tradescant Vater und Sohn in Oxford, zählte unter anderem: Ein babylonisches Gewand, Diverse Sorten Eier aus der Türkei; eines von ihnen als Drachenei deklariert, Ostereier des Patriarchen von Jerusalem, zwei Federn vom Schweif des Vogels Phönix, eine Klaue des Vogels Rock, der dem Vernehmen nach einen Elefanten zu entführen vermag, ein Dodar von der Insel Mauritius; der ob seiner Korpulenz des Fluges nicht fähig ist, ein Hasenkopf mit rauhem Gehörn, drei Zoll lang, ein Krötenfisch und einer mit Stacheln, diverse Darstellungen, in Pflaumenkerne geschnitzt, eine Messingkugel zum Wärmen der Hände für Nonnen. 
Wenig später setzte eine ätzende Polemik gegen derlei Sammlungen ein. Der Geist der rationalen Wissenschaften machte den Sammelsurien den Garaus. Spottgedichte erschienen, ironische Texte, die derlei Sammelpraktiken verulkten. Ein Milchzahn einer Kaiserin hätte vor dem Richterstuhl dieser Sammlungskritik keine Gnade gefunden.

Das verschrobene Sammeln überlebte in der Literatur, in der Schilderung kauziger Obsessionen, etwa der, der Jaromir Edler von Eynhuf in Fritz von Herzmanovskis Roman Der Gaulschreck im Rosennetz huldigt, wo er, der Sekretär des Hoftrommeldepots aus patriotischer Gesinnung beschließt, seinem Landesvater zu dessen Regierungsjubiläum seine Milchzahnsammlung zu verehren. Hat Herzmanowsky vom allerhöchsten kaiserlichen Zahn, der im Depot schlummerte, gewußt? und wurde er so zum Patron eines Rückschrittes der Musealisierung von der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung zurück zum vormodernen Kuriositätenkabinett?

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