Dienstag, 27. Juli 2010

Conciergerie - Ort zweier Gedächtnisse

Vermutlich verirren sich nur wenige Pariser Museumstouristen hierher: in die Conciergerie, eine unübersichtliche Raumflucht im Palais de la Cite an der Seine. Hier befinden sich - ansehnliche - Reste der Königsburg des 14. Jahrhunderts und einer der ersten Eindrücke nach dem Betreten dieses 'Museums', das eher ein Gedächtnisort ist, ist eine riesige, eindrucksvolle mittelalterliche Pfeilerhalle - Salle des Gens d'Armes.
1391 wurde hier ein Gefängnis eingerichtet (was es bis 1914 blieb), und die Conciergerie erlangte eine spezielle Berühmtheit, als in der Französischen Revolution hier das Revolutionstribunal tagte und die zum Tode verurteilten in den Gefängniszellen festgehalten wurden - 'Vorzimmer der Guillotine' nannte man sie.
Marie Antoinette verbrachte hier die Zeit vor Ihrer Hinrichtung und so wurde der Ort zu einer der königstreuen Verehrung. Wie in Meyerling das Zimmer des Selbstmordes abgebrochen und durch eine Kapelle ersetzt wurde, so scheint man auch hier in einer Löschung aller materiellen Spuren den einzigen Ausweg aus einer nachhallenden Traumatisierung gesehen zu haben. An der Stelle der Gefängniszelle Marie Antoinettes wurde eine Kapelle errichtet, ein Gedächtnisort der königlichen Familie und des Königtums überhaupt.
Nur durch verwinkelte Treppen und Zimmer getrennt gibt es hier indes auch die Erinnerung an die Revolution und Revolutionäre, vor allem an die, die ebenfalls hier als Verurteilte auf ihre Guillotinierung warteten, wie z.B. Georges Danton.
Auf merkwürdige Weise durchkreuzen sich hier zwei Erinnerungsmilieus, zwei ideologisierte Erinnerungsströme, dies zudem in den verschiedenartigsten Modi der Musealisierung. Marie Antoinettes Zelle ist zum Verschwinden gebracht, eindrucksvolle Porträts der Revolutionäre lassen die zentralen Persönlichkeiten der Revolution in einem ganz anderen Authentizitätsgrad erscheinen, während die tatsächlich einigermaßen originalen Zellen, wie in einem Panoptikum mit Figurinen und 'Ausstattung' wie in eine cinematografische Illusionistik getauchen werden.
Weltgeschichte kommt auf einen hier als Panoptikum, Dokumentation, lieu de memoire, Leerstelle, 'Museum' zu, in ebenso verdichteter wie labyrinthischer Form. Nationales Gedächtnis als Palimpsest miteinander verklebter Seiten…und die gegnerischen Parteien wie in in einem Remix, versöhnt-unversöhnt, unentschieden in ihrer verqueren Nachbarschaft.

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